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5. Etappe San Martino - Elva
So blau, blau, blau blüht der Enzian ...

Die Truppe
Heute erwartet uns die kürzeste Etappe der gesamten Tour. Dementsprechend gemütlich schlafen wir lange aus, genießen bei einem ausgiebigen Frühstück die selbstgemachten Marmeladen Maria Schneiders, bis wir uns gegen Mittag auf den Weg machen. Dieser führt uns weit in eines der zahlreichen Seitentäler der Maira hinein. Wir steigen stetig bergan, begegnen unterwegs der Kuhherde, deren Glockengeläut beim Almauftrieb gestern stundenlang durchs Tal hallte. Am Colle Bettone angelangt befinden wir uns plötzlich in einer wilden Felsenkulisse wieder. Tief unter uns die Elva-Schlucht. Die schmale Straße windet sich in vielen Serpentinen hinauf nach Elva Serre. Vor dem Bau der Straße war unser heutiger Weg die einzige Verbindung von Elva, über San Martino, hinab ins Mairatal. Weiter geht’s wildromantisch bis zum Colle San Giovanni, dem höchsten Punkt unserer heutigen Tour. Wenig unterhalb der gleichnamigen runden Kapelle liegt eine weitläufige Ranopamawiese, auf der es sich herrlich ausruhen lässt. Der Blick kann weit umherschweifen, sogar das Fernglas wird ausgepackt. „Wie heißt der Gipfel da drüben?“ – Monte Chersogno – „Wo verläuft unser Weg morgen?“ Bei all dem Staunen und Gucken waren uns die vielen blauen Enzian gar nicht aufgefallen – „...der ist ja echt wahnsinnig blau, kaum zu glauben!“ Eigentlich ist der Hunger noch gar nicht so groß, aber hier oben muß man einfach alles genießen, und das frische Brot und der leckere Käse aus San Martino passen wunderbar zum Ambiente. Wir bleiben lange hier oben, es ist eines der schönsten Ranopamas unserer Tour. Der Abstieg nach Elva zieht sich lange in der heißen Nachmittagssonne,
aber wir sind frohen Mutes, gewiss in Elva Serre eine Bar vorzufinden und dort einzukehren, denn eines haben wir uns geschworen: Jede Bar auf dem Weg wird auch angesteuert! Das kühle Bier und der Lemon Soda , gefolgt von Gelato Frutti Erotici stärken physisch und psychisch. Die Kirche von Elva ist ein Kleinod, wissen wir aus unseren Reiseführern. Den Schlüssel erhält man beim Wirt. Tatsächlich läßt das Äußere der Kirche die bunten Fresken im Inneren nicht vermuten. Einmal mehr eine kulturelle Überraschung und dies in einem Seitental, das bis 1965 nur zu Fuß erreichbar war. Mit lautem Gekläffe verabschieden uns die Hunde von Elva. Dabei tut sich besonders ein kleiner brauner Lastrami hervor, von dem sogar Susanna und Nadja wegen seines stechenden Blickes Abstand nehmen. Einzig Angelika hat Erbarmen und streichelt ihn. Unser Etappenziel ist heute einmal nicht das PT von Elva sondern die Azienda Agrituristica „L’Artesin“. Bereits auf den ersten Blick erweist sich unsere Entscheidung, diese dem örtlichen PT vorzuziehen, als richtig: „Buon giorno, sono Francesco, siete benvenuti!“, empfängt uns der Wirt mit einem gewinnenden Lächeln. Das Artesin wird von einem jungen Paar bewirtet, das sich alle Mühe gibt, es zu einem gemütlichen Aufenthaltsort zu machen. Die Zimmer sind nett eingerichtet, sogar unsere Hüttenschlafsäcke sind heute überflüssig. Wir sind hoch erfreut über derart viel Komfort. Susanna und Volker laden aus Freude über die bestandene Führerscheinprüfung ihrer Tochter zum Apéro ein: Crema di limone – specialità della casa! Eine Spezialität aus Kampanien im Piemont? Die Lösung ist: Francesco ist Sarde, seine junge Frau kommt aus dem Mairatal. Das anschließende Essen ist eine Abfolge von Superlativen:

Antipasti



Tumakäse an Kartoffeln und Aprikosenmarmelade(!!!)
Frittata alla verdura (Gemüseomlett)
Teigröllchen gefüllt mit Speck
Bratlinge aus frischen Pilzen
Peperoni sott‘olio (in Öl eingelegte Paprika)
PrimoGnocchi fatti in casa con spinaci alla panna (hausgemachte Gnocchi mit Spinat-Sahne-Soße)
Secondo

Bistecca di vitello (Kalbsteak)
Insalata verde (gemischter grüner Salat)
DolceBudino di limone (Zitronenpudding)

Das Essen ist vorzüglich, die Atmosphäre im Gastraum gemütlich, aber es gibt kein TV-Gerät. Das wäre ja normalerweise auch von niemandem vermisst worden, doch zu Zeiten der Fußball-Europameisterschaft wird der ein ode andere bei dem Gedanken, ein entscheidendes Spiel zu verpassen, zappelig. Es wird ein klarer Entschluß gefaßt: Ein Verdauungsspaziergang nach Elva dient als Vorwand, um dort im PT das Fußballspiel anzusehen. Peter, Volker und Jürgen hechten im Eilschritt die Straße nach Elva hinauf, Angelika, Nadja, Norbert und Karin folgen gemächlich, Susanna bleibt im Artesin. Die Herren sitzen drinnen beim Fußballspiel und draußen läßt es sich Zenturio bei uns gutgehen. Zenturio (nennen wir ihn wegen seines stechenden Blicks) ist der kleine braune Lastrami, der in der Dunkelheit weniger häßlich wirkt und nun eher unser Mitgefühl erweckt. Auf dem Nachhauseweg wird es dann noch mal spannend: Der PT-Wirt scheint ein leidenschaftlicher Rennfahrer zu sein. Schon von weitem sehen wir die beiden Scheinwerfer seines Sportflitzers in rasendem Tempo die Straße entlangheizen. Es ist stockdunkel und wir geben uns alle Mühe, uns mit Taschenlampen erkennbar zu machen. Mit einem Sprung zur Seite entkommen wir ihm nur knapp. Ein skurriles Erlebnis, in dieser ruhigen Gegend von einem wildgewordenen PT-Wirt gejagt zu werden!


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karin@simon-schellhaas.de